In seinem letzten Lutherbeitrag hat Uwe gefragt: Wie würde eine „Glaubensprüfung“ aussehen, wenn man Meditiationsunterricht hätte? Das hat mich auf die Frage gebracht, inwiefern Prüfungen sich verändern, je subjektiver die Fähigkeiten werden, auf die wir Wert legen.
Bei Andy gibt es keine Prüfung. Es gibt nur den eigenen Erfahrungswert. Fühlst du dich gut? Gelingt es dir besser? Hast du den Eindruck, dass du Fortschritte machst? Und selbst diese Fragen treten völlig in den Hintergrund. Wichtiger ist der Prozess. Des Lernens. Die Erfahrung, sich selbst einer stetigen Wandlung zu unterziehen. It’s a liefelong process, sagt Andy gerne. Und man glaubt es ihm und ärgert sich noch nicht mal. Irgendwie entsteht das Gefühl, dass das Lernen reicht. Dass es gut ist, sich klar zu machen, dass man bereits besser geworden ist, wenn es sich so anfühlt. Denn wer misst deine eigene Zufriedenheit?
Prüfungen sind, und das zurecht, schwer in Verruf geraten. Ach, wie schön waren noch die Zeiten, in denen man einen Haufen Leute zur selben Zeit in einen Raum gesteckt hat. Und am Ende hatte man einen Zettel, auf dem all diese Leute nach ihren Fähigkeiten sortiert aufgelistet waren.
Werden Fähigkeiten schwerer nachweisbar? In einer Zeit, in der Wissen überall herumschwirrt und nur vom interessierten Lerner eingefangen werden muss, welche Bedeutungen haben Prüfungen dann überhabt noch? Wenn man zukünftig Skills lernt, die weit schwerer messbar sind, als eine gelöste Matheaufgabe, wie überprüft man dann?
Beim Meditieren geht es darum, seinen Geist zu trainieren, um mit bestimmten (arguably allen) Situationen anders (arguably besser) umzugehen. Wenn man in einem schwierigen Gespräch Ruhe bewahrt und sich beweist, dann springt nicht hinter dem Buchregal ein kleiner Mann in schwarzem Kittel hervor und überreicht dir, in einer Staubwolke aus Licht und Schmutz, dein Zertifikat. Schwieriges Gespräch: Bestanden. 2,0. Man hat keinen Zettel, auf dem vermerkt wurde: Besserer Mensch – 0,23 Prozent. Aber man hat sein Gefühl. Das gute warme Gefühl in der Brust, das dir sagt: gut gemacht! Das war ja ein voller Erfolg!
In der Schule wusste man immer, ob man etwas gut konnte oder nicht. Ob man eine gute Prüfung schreibt, das konnte keiner Voraussagen. Wenn man zähneklappernd und händeringend auf sein leeres Papier wartete, dann kam es einem vor, als hätte man ein ganz anderes Fach studiert, als es zu prüfen galt. Der eigene Gefühlskompass völlig aus dem Gleichgewicht geraten.
Dasselbe Gefühl beschleicht mich manchmal, wenn ich im Wartezimmer eines Arztes sitze. Tief in den Sitz gesunken, den Blick starr auf die meditativ angerichteten Steine gerichtet. Bin ich gesund? Fühle ich mich gut? Habe ich etwas falsch gemacht? Hätte ich schon vor Wochen herkommen sollen? Hört mich denn keiner?… Hilfe?
Das Gefühl, geprüft zu werden, ist immerhin tief in unserem Bewusstsein verwurzelt. Ob religiös oder nicht, immer mal wieder kribbelt einem der Nacken, juckt die Nasenspitze. Ist das eine gute Entscheidung? Tue ich das Richtige? Bin ich ein guter Mensch?
Dann reißt man dem Lehrer den angeschwitzten Zettel aus der Hand. Hab ich bestanden!? Bin ich durch? Komme ich in den Himmel?
Andy würde da nur weise lächeln. Blue skies. They’re always there.
Sind wir Menschen Blue Sky kompatibel? Können wir uns abtrainieren, uns ständig zu prüfen? Wäre das überhaupt gut?
Denn sobald ich im Sprechzimmer sitze, zerfließe ich in einer Pfütze des Wohlgefallens, bei der Vorstellung, wie viele Prüfungen die Ärztin abgelegt hat, um hier herzukommen. Und wenn das Flugzeug die Blue Skies durchquert, dann bewundere ich entspannt die Wolkenschlösser. Wohl wissend, dass es so gut wie unmöglich ist, eine Pilotenprüfung zu bestehen. This guy is a hero. I am safe. Das ist es wahrscheinlich, was wir wirklich wissen wollen. Am I safe?
Ob in der Schule oder im Flugzeug oder in der Kirche. Am I safe?
Die Frage ist, ob uns die Antwort auf diese Frage, eine Prüfung geben kann.
1 Comment
Katrin
23. September 2017 at 13:25Und die Antwort auf die Frage ist ganz sicher: das kann dir keine Prüfung geben!
Gestern haben Uwe und ich uns Sturmvideos von Schiffen auf See angesehen. Wow. Riesige Wellen. In einer Situation zu sein, aus der man nicht rauskommt! Keine Ahnung, wie man da handeln würde. Hoffentlich hat man genug Erfahrung.
Eigentlich kamen wir darauf, weil ich mal gemutmaßt habe, dass es wenige Videos im Netz gibt, die einen bei den komplizierteren Lebensaufgaben im Reallife helfen. Also: Wie macht man ein Rettungsmanöver auf See, wenn jemand über Board geht? Und schon fragt Uwe: Na, wie geht das? Ich habe den Hochseeschifferschein. „Mann über Board“ muss man schon bei der einfachen Segelprüfung können, also dem Segelschein für Binnen können, den habe ich auch. Und – ich hatte keine Ahnung mehr. Zuletzt einfach zu wenig Menschen aus dem Wasser gezogen. Zumindest nicht auf See. Wie gut, dass ich die Prüfung habe? Die beweist, dass ich es kann?
Und dann haben wir Katastrophenvideos geguckt. Weil es nämlich in den meisten Lebenssituationen keine Prüfung gibt, die dich auf das oder Ähnliches vorbereiten kann.