Einsame Spitze. Joan Didion.
Wenn du ein Künstler bist, egal welcher Art, dann ist es wahrscheinlich, dass du groß sein möchtest. Die Art von Größe, die einen mit quietschenden Sohlen im Museum umdrehen lässt, leise zurück tappen, hhhnn ein echter….und dann eine Weile lang lippenkauend vor deiner Arbeit stehen und sich ganz schmälern fühlen, zusammengedrängt unter dem Blick deiner gewaltigen Leistung, deines künstlerischen Ausdrucks. Und wenn man nachher beim Wein in der Kneipe sitzt und Pistazien knackt, dann redet man rotwangig von deiner Kunst. Haareraufend, augenfunkelnd, händeringend. Welche Größe. Oh, welche Größe.
Paare verlieben sich vor deinen Bildern, so stark ist ihre Anziehungskraft, man tanzt cheek to cheek zu deinen Songs, wiegt sich im Takt deiner Worte, nach zwanzig Jahren Ehe. Du bist der Ausdruck deines Metiers, die Definitions deines Genres. Du bist der Größte von allen.
Joan Didion ist, mit großer Wahrscheinlichkeit eine der bedeutendsten amerikanischen Journalistinnen. Ihre Beobachtungen haben den Zeitgeist einer Era geprägt, ihre Überlegungen sind tief in die Psyche einer Generation eingegraben. Neulich ist eine Dokumentation herausgekommen, die von ihrem Leben erzählt. Aber irgendwie auch von ihrem Nichtleben. Denn, wenn man „Die Mitte wird nicht halten“ sieht, dann wird einem klar, aus wie vielen kleinen Toden jedes Leben besteht. Unzählige ausgeschlagene Möglichkeiten. Ungegangene Schritte auf unberührtem Schnee, der nie gefallen ist.
Work
Joan Didion wirkt wie die Art von Mensch, die früh wissen, wer sie sind. Eine fast schon kantige Klarheit poltert einem entgegen, wenn man diese winzige Person auf einen Korbstuhl sitzen sieht, die Sonnenbrille vor die hellen Augen geschoben. Sie war schon immer eine, die geschrieben hat. Und egal was sie tut, er ist immer da, der Drang sich nach außen zu kehren, die inneren Fäden zu einem funkelnden Netz zu spinnen, mit dem man Wespen fangen kann. Sie nimmt ernst, was sie tut. Mit der aberwitzigen Weise, wie jeder Künstler ernst nimmt, was er tut.
Denn es sind nicht nur ihre Gedanken, die sie interessieren, es sind auch die Gedanken anderer. Die heimlichen, schizophrenen Fragen, die man sich stellt, wenn der Wecker noch nicht geklingelt hat und das Zwielicht die Schatten an der Tapete verschmieren lässt. Sie kann Dinge ausdrücken, die sonst niemand sagen kann. Sie kann dem Geist auf den Zahn fühlen, der ihre Zeit durchzieht.
Sie ist einzigartig. Das wäre sie auch, wenn niemand davon wüsste. Sie würde stur auf dem knarzenden Korbstuhl sitzen, mit den überschlagenen Beinen baumeln und dann durch die lichten Vorhänge ins kühle Arbeitszimmer tappen und sich an die ratternde Schreibmaschine setzen. Das Licht golden, wie in einem Whiskeyglas.
Man bewundert sie, man ist irritiert und verzaubert von ihrem zögernden Stirnrunzeln und ihren langsamen, gewählten Worten. Sie ist ein Geheimnis und ein General. Man kauert sich in ihren Schatten und wundert sich, wie es dort so kühl sein kann, wenn sie doch nur ein Vögelchen ist. Eine schmale, intellektuelle Gestalt, in beige Gewänder gehüllt.
Love
Das Leben kann gut kombinieren. Deswegen kombiniert es Didion mit einem Schelm. Einem jähzornigen Füße-auf-den-Tisch-Leger. Einem warmen, runden, lauten Mann. Die beiden sind das perfekte Paar. Sie korrigieren ihre Aufsätze, lesen sich ihre Artikel vor. Sie sind so gut wie jeden Tag zusammen, auch wenn eine schweigende Ruhe von den beiden ausgeht. Als würde sich das Geräusch so vieler Gedanken einfach neutralisieren und ein tonloses Vakuum die beiden Liebenden umschließen.
Sie wollen ein Baby. Sie kriegen keins. Und dann an einem Morgen knackt die Schale von Didions Herz zum zweiten Mal und sie weint im Badezimmer. Weil sie ein Baby haben. Ein blondes, rundes Baby. Im Haus am Meer wächst eine kleine resolute Gestalt zwischen den beiden übergroßen Eltern auf. Sie hat das selbe Lachen wie ihr Vater und die selben Augen wie die Mutter. Joan beschützt sie, auf ihre eigene knochige Art.
Wenn du ein Künstler bist, egal welcher Art, dann ist es wahrscheinlich, dass du Angst hast. Für immer allein zu sein. Abgeschnitten von der Welt der Menschen, die sich gegenseitig in die Rippen boxen und mit Spaghettisoße kleckern. Ein Geist zwischen lauter Lebenden. Eine Legende zwischen lauter Liebenden. Da ist eine stille Lücke zwischen ihr und den beiden. Ein kleiner Spalt zugiger Luft, über den niemand nachzudenken scheint. It’s lonely at the top. Art is home. Writing is relief.
Als in rascher Folge ihr Partner und ihre Tochter sterben, klafft der Spalt groß und weit und unübersehbar. Sie sind gegangen und Joan ist noch da. Ein knorriger Kirschblütenzweig. Blaue Adern unter der dünnen Haut. War sie zu sehr Künstlerin und zu wenig Mensch? Kann man ein Lebender sein, wenn man auch eine Legende sein will? Ist die Arbeit ihr zu Kopf gestiegen? Hat sie sie rausgejagt? Sind sie vom Rand gefallen?
Legend
Der Schmerz mahlt noch immer in der knochigen Brust. Die Hände ringen nach Worten, die greifen können was geschehen ist. Ich habe geliebt. War es ein Traum?
Die Medaille um den Hals wiegt schwer, man drückt ihr sanft die Schulter, schiebt sie mal hierhin und mal dorthin. Eine lebende Legende. Hush hush. Rockabye baby.
Und Didion macht das, was sie am besten kann. Sie schreibt.
1 Comment
Uwe Carow
14. Dezember 2017 at 18:21Hossa. Hatte noch nie von ihr gehört. Toll geschriebener Beitrag über eine Schreibende.
Und sicher auch ein guter Netflix Tip.