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Italien: Call Me By Your Name

30. Juni 2018

Wir fahren, seitdem ich drei bin, jedes Jahr (mit ein paar Ausnahmen) nach Italien. ‚Same procedure as last year‘, selbes Haus, selbe Hängematte, selbe Stimmung. Und das ist sehr wichtig, denn hier wird aufgetankt und Inspiration gesammelt. Im Januar/Februar ist die Italiensehnsucht meistens am allergrößten. Es ist ein halbes Jahr her, dass man in Italien war, und es wird nochmal genauso lange dauern bis man wieder da ist. Zum Glück kann man sich in der Zeit gut ablenken mit Oscar-Filme schauen. Und weil ich es dieses Jahr sehr gründlich machen wollte, habe ich natürlich auch den diesjährigen Spitzenreiter (und Gewinner der Herzen) ‚Call Me By Your Name‘ gesehen, ohne irgendetwas über den Film zu wissen.

Call Me By Your Name

Der Film, der zuerst ein erfolgreiches Buch war, handelt von Elio und Oliver. Elio, siebzehn Jahre alt, Sohn zweier Akademiker-Eltern, die den Sommer jedes Jahr in ihrem Haus in Italien verbringen. Und in jedem Jahr nehmen sie einen jungen Studenten bei sich auf. Diesmal ist es Oliver. Vierundzwanzig. Amerikanisch. Selbstbewusst.

Es ist eine Liebesgeschichte.

‚Call Me By Your Name‘ zählt ohne Zweifel zu den besten Filmen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe.

Vielleicht war ich zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der richtigen Stimmung. Vielleicht hat alles zusammengepasst. Vielleicht hat aber auch der Film genau diese Stimmung erschaffen und sich so perfekt selbst in Szene gesetzt. So oder so hat mich der Film sehr berührt.

Nach dem Film haben Lukas und ich eine Viertelstunde lang nicht miteinander geredet. Sprachlos aus dem Kino gestolpert. Normalerweise ist diese Zeit der Raum fürs Analysieren, Austauschen, Abgleichen. Aber nach ‚Call Me By Your Name‘ wollte ich nicht analysieren. Ihn nicht kaputtreden. Denn ich habe ihn nicht mit meinem Kopf gesehen.

Nach dem zweiten Mal schauen, sehe ich den Film schon etwas nüchterner. Ein bisschen von der erstmaligen Magie ist verblasst. Und zu meiner eigenen Überraschung, ist es nicht unbedingt ein Film, der immer besser wird, je öfter man ihn schaut (Harry & Sally), aber nichtsdestotrotz ist er in meinen Augen nach wie vor ein Meisterwerk.

Der dritte Hauptdarsteller neben Elio und Oliver, ist definitiv der Sommer. Die Stille in der Mittagshitze, orangenes Laternenlicht in immer noch warmen Sommernächten, das Zirpen der Zikaden.

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Und als ich also im arschkalten Berlin das erste Mal ‚Call Me By Your Name‘ gesehen habe, wusste ich, dieser Film ist ein Italien-Select.

Select

Select ist ein Format, das Lukas in die Familie und in den Freundeskreis gebracht hat. Die Idee ist so simpel wie genial. Einer sucht einen Film aus, den er mit der Gruppe gucken möchte. Dabei ist es egal, ob er oder sie selbst den Film schon geschaut hat oder die Gruppe ihn schon kennt. Dazu organisiert derjenige eine kleine thematische Kleinigkeit. Das kann ein  passender Vorfilm wie ein Musikvideo sein, oder er kreiert das richtige Ambiente oder einen Snack.

Dadurch hat man zu einem das Problem aus der Welt geschafft, sich in einer Gruppe auf einen Film einigen zu müssen, und man erweitert seinen Horizont drastisch, weil man Filme sieht, die man sich selber niemals ausgesucht hätte.

So sitzen wir also in Italien, verteilt in Liegestühlen und Hängematten. Unserer Leinwand gespannt zwischen zwei Bäumen, im Hintergrund Umbriens grüne Berglandschaft, am Himmel der fast Vollmond. Dazu gibt es karamellisierte Pfirsiche mit süßer Sahne und Feigen. Und ja es hat alles gestimmt, wenn ich es selber mal so sagen darf.

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Die Schauspieler

Nach dem Film war ich unglaublich dankbar. Unglaublich dankbar, mich Schauspielerin nennen zu dürfen, und demnach, irgendwie, ein kleines bisschen näher an der Erschaffung dieses Film dran zu sein. Und ich bin eigentlich nie dankbar, Schauspielerin zu sein. Ohne Frage liebe ich den Beruf, ich genieße seine Vorzüge und lerne mit seinen Nachteilen umzugehen. Aber Dankbarkeit? Es ist für mich eher gegeben. Jeder hat einen Beruf und das ist halt meiner. Eine ganz neue Erfahrung also.

Trotzdem war ich nicht eifersüchtig, dass der Film ‚ohne mich‘ gemacht wurde. Denn wer hätte ihn spielen sollen außer den ausgewählten Schauspielern? Jeder kleinste Nebendarsteller wirkt so echt, so unausgewählt. Wer außer Timothée Chalamet hätte Elio spielen sollen? Wer schreibt ein Drehbuch mit der grünen Hoffnung, dass es schon irgendjemanden geben wird, der dies spielen kann? Und wer bekommt dann auch noch genau das, was er gesucht hat?

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Das Buch

Zu Italienurlauben gehört für mich lesen. „I can’t begin to tell you the number of books I’ve read here.“ (um es mit Elios Worten zu sagen). Deswegen habe ich mir vorher „das Buch zum Film“ besorgt. Das Buch, das mehr als ein Jahrzehnt vor dem Film erschienen ist. Das Buch, von dem man in den Buchhandlungen nur noch die Auflage zum Film bekommt. Vorne drauf das Filmcover und mit großen Bustaben: Now a Major Motion Picture from Sony Pictures Classics starring Armie Hammer and Timothée Chalamet. Hm. Was soll man da machen. Zum Glück hatte der Buchautor mehrere Cameos und das ganze schien Hand in Hand abzulaufen.

Im Nachhinein hätte ich das Buch gerne vor dem Film gelesen. Andrerseits hätte ich es niemals in die Hand genommen, wenn ich den Film nicht geschaut hätte. Vielleicht hätte ich sogar nur die ersten paar Kapitel gelesen. Ich weiß nicht, ob mir das Buch gefallen hat. Ist es genial, intelligent und durchdacht? Oder ist es ein flacher Erotikroman mit überraschendem Erfolg?

Zeitweise hat man das Gefühl, das Drehbuch zu dem Film zu lesen und dann wieder Passagen, die komplett anders sind.

Der größte Unterschied ist, glaub ich, Elios Charakter. Im Film beobachten wir Elio, wie er Oliver beobachtet. Im Buch stecken wir in Elios Kopf.

Eine Sache, die ich am Buch mag, und ich weiß nicht ob sie absichtlich so geschrieben oder Zufall ist: Man erfährt erst auf Seite 16, dass Elio ein Junge ist. Natürlich wusste ich es, da ich den Film schon geschaut hatte, und weil auf dem Cover ein Foto von Oliver und Elio ist. Aber sonst hätte man es nicht wissen können. Und ich frage mich, ob ich davon überrascht worden wäre, wenn ich es nicht gewusst hätte. Ob ich das Buch angefangen hätte mit der Annahme das „Ich“ ein Mädchen ist.

„Here,“ he ordered, pressing her flattend palm hard against my back. „Feel it? He should relax more,“ he said. „You should relax more,“ she repeated.

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Das Ende

Ich glaube es gibt kein schöneres Filmende als dieses. Und interessanterweise hat mich das Buchende genauso aus meinem Zweifel über das Buch herausgerissen. Obwohl die Enden total verschieden sind. Das Buch ist abgeschlossener, endgültiger, trauriger.

Der Film endet mit dem Gefühl von Herzschmerz, aber auch einem Hoffnungsschimmer, es ist noch nicht vorbei, sie sind noch jung, wer weiß was alles passieren kann. Jemanden zu hassen, hat mehr mit Lieber zu tun, als jemanden zu vergessen.

Der letzte Absatz des Buches hat mich wachgerüttelt.

Twenty Years was yesterday, and yesterday was just earlier this morning, and morning seemed light-years away.

„I’m like you,“ he said. „I remember everything.“

I stopped for a second. If you remember everything, I wanted to say, and if you really like me, then before you leave tomorrow, or when you’re just ready to shut the door of the taxi and have already said goodbye to everyone else and there’s not a thing left to say in this life, then, just this once, turn to me, even in jest, or as an afterthought, which would have meant everything to me when we were together, and, as you did back then, look me in the face, hold my gaze, and call me by your name.

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