Ich liebe Kino. Wirklich. Ich liebe das Gefühl mit ihm zusammen zu sein. Eine handwarme Tüte Popcorn in den Händen, den gebündelten Lichtstrahl überm Kopf und die Ohren voll von seiner Musik.
Aber hin und wieder gehe ich Kino gern fremd. Und komme eine Weile bei seinem chaotischen kleinen Bruder Theater unter.
Theater hat sein Leben irgendwie nie ganz zusammen, er wohnt in einem heruntergekommenen Mietshaus in der Rue de la chaise, schläft auf einer Matratze auf dem kalten Fliesenboden und das zuckende Licht der schwachen Glühbirne in seinem Kühlschrank umschmeichelt höchstens ein Stück Camembert. Wenn ich unangemeldet vor seiner Haustür stehe und die altmodische Klingel drücke, freut er sich immer mich zu sehen. Er fühlt sich nie gestört oder bittet mich ein anderes Mal wieder zu kommen. Er gehört den Menschen und die Menschen gehören ihm.
Meistens sitzen ein paar davon im Schneidersitz auf seinem verschlissenen Teppich und trinken Rotwein. Süßlicher Dunst wabert unter der hohen Decke und im Kamin knistert ein kleines Feuer. Man redet über Musik und Poesie bis hinter den Vorhängen eine kühle Sonne aufgeht. Theater nimmt mich sanft an der Hand und führt mich in die Wohnung. Wenn Theater mit mir geht, nimmt er mich immer bei der Hand. Wie ein Kind, das mir etwas zeigen will. Seine Harre stehen wirbelnd von seinem Kopf ab, wie seine Gedanken, die er mit langen, feinen Fingern gestikulierend, einzufangen versucht. Zarte Spinnweben aus Erinnerungen und Zukunftsvisionen, die sich alle in einem fernen Universum abspielen.
Er spricht mit Nachdruck, mal verträumt und leise, dann wieder wird er furchtbar zornig, geballte Fäuste sausen durch die Luft, seine Augen sprühen Feuer und sein Mund Speicheltropfen. Er wirkt immer jung und alt zugleich. Unwissend und weise. Eine absurde Erotik geht von ihm aus. Verschiedene Parfums die sich mischen, fremde Düfte, sorgfältig aufgelegt und losgelöst von ihren Trägern, wehen im Durchzug der großen Wohnung.
In Theaters Nähe ist alles möglich. Aufregend. Wir rauchen und trinken und reden, die ganze Nacht. Dann irgendwann steht er aus dem Schneidersitz auf und führt mich ins Schlafzimmer.Manchmal ist er ein großartiger Liebhaber, sanft und fordernd, warm und selbstbewusst, in anderen Nächten ist er ganz in sich gekehrt, verwirrt und verletzlich. Dann weint er und ich tröste ihn. Immer liegen wir aneinander geschmiegt bis erste Sonnenstrahlen unsere Nasen kitzeln. Mit Theater zusammen zu sein ist immer vollkommen. Er will jeden Augenblick kosten und an ihm saugen wie an einem nackten Aprikosenkern. Wenn er mit mir spricht, bohrt sein Blick sich bis ganz nach hinten an meine Schädeldecke und seine Hände berühren zärtlich meine Knie. Wir sind umgeben von einer Blase, die wabernd im Raum schwebt.
Ein paar Tage bleibe ich meist. Dann tapse ich über die kalten Fliesen, streife mir die Sachen über, nehme meine Tasche und verabschiede mich von ihm. Er bringt mich in ein Laken gewickelt, noch zur Tür, küsst mich lange und schließt dann die Tür. Taucht wieder ab in seine Welt.
Ich schleiche, die Schuhe in einer Hand, in Kinos und meine Wohnung zurück. Dusche und schlüpfe in einen großen weichen Bademantel. Wenn ich aus dem Bad in die Küche komme, steht er mit dem Rücken zu mir an der Esspressomaschine. In Hemd, mit nackten Füßen. Und dreht sich zu mir um. Das Licht fällt durch die großen, blankgeputzten Fenster und direkt in seine wachen hellen Augen. Frühstück? Fragt er lächelnd. Und ich nicke. Froh zurück zu sein.
5 Comments
katrin
23. März 2015 at 11:28Yeah, ein exaltiertes Lesevergnügen. Aber bist du dir sicher, dass Theater *hüstel* männlich ist?
Isabel
24. März 2015 at 12:32Bei Theater kann man sie nie sicher sein :D
Mariä
16. November 2015 at 21:27Hach. Ich mag es immer wieder in deine Welt einzutauchen.
Isabel
18. November 2015 at 15:55Das freut mich riesig! <3
Mariä
20. November 2015 at 20:02Mich auch. ^^