Uwe: Isa, du bist nicht nur Schauspielerin, Mitgründerin von iffy und Redbug-Homie, sondern auch noch an einem 24.12. geboren. (sie lacht: tja ich hab alles richtig gemacht) Wenn man mit dir über Rituale spricht, kommt man natürlich nicht drumrum zu fragen, wie das für dich ist, am Heiligabend, mitten in dieser mit Ritualen geballten Zeit, Geburtstag zu haben.
Isabel: Erstmal finde ich es lustig, dass mich so gut wie jeder fragt, ob es nicht total blöd ist, am Heiligabend Geburtstag zu haben. Was mich immer sehr wundert. Denn ich hatte nie das Gefühl, dass ich dadurch irgendeinen Nachteil hätte. Erstmal habt ihr als meine Eltern von vornherein ein sehr schönes Geburtstagsritual gestaltet. Morgens ist Geburtstag. Ich hab meine Zeit, bekomme meine Geburtstagsgeschenke, wir essen Kuchen. Und abends ist dann Heiligabend. Es gab eigene Rituale für beide Abschnitte. Und dann finde ich es auch gerade jetzt, wo ich erwachsen werde, immer cooler, dass ich mich nie darum kümmern muss, dass mein Geburtstag in irgendeiner Form feierlich ist, weil alle Leute in meinem Umkreis, die Weihnachten feiern, sich sowieso Mühe geben, dass das ein schöner, zeremonieller Tag wird. Und es ist total schön, in diesem Swing Geburtstag zu haben. Ich meine, es ist ja auch eigentlich eine Geburtstagsfeier, Jesus.
Vielleicht kommt es daher, dass ich tendenziell aus allem im Leben ein Ritual machen könnte. Oder vielleicht auch, weil ich so aufgewachsen bin. Ich hatte das Gefühl, bei uns war schon jedes Paradiescremeessen ein Ritual. Nicht etwas, das zufällig passiert.
Oder jedes gemeinsame Abendbrot war in gewisser Hinsicht etwas, worauf man sich verlassen konnte, was bei einem Ritual ja eine große Bedeutung hat, und was einen Raum gibt, in dem bestimmte Werte nochmal in gewisser Weise aufmerksam gelebt werden.
Dabei muss man diese ideellen Werte dann nicht intellektuell durchdringen, sondern es kommt wirklich auf das gemeinsame Tun an, auf die Handlungen, das gemeinsame Essen. So ein Abendbrot z.B. hatte bei uns ja gewisse Regeln: wir fangen gemeinsam an, wir bedanken uns bei demjenigen, der gekocht hat. Oder man sagt, es schmeckt mir.
Das waren zwar keine Gebete in dem Sinne, hat aber trotzdem eine Aufmerksamkeit, eine Wertschätzung ausgedrückt. Wir haben dann zwar nicht gesagt, danke lieber Gott fürs Essen, aber der Dank an denjenigen, der gekocht hat, meint eigentlich dieselbe Sache.
Also sind Rituale für dich sozusagen auch Handlungen, die einer bestimmten Sache, bestimmten Ideen oder Werten eine besondere Aufmerksamkeit verleihen?
Ja, letzendlich hat in unserer Dimension – sag ich mal so – physische Energie ja ein großes Potenzial. In anderen Dimensionen denkt man vielleicht nur was und das ganze Universum entsteht von neuem, aber für uns ist das ja anders. Wir verbinden alles auch damit, dass man etwas tut und dass man sich an Dingen abarbeitet. Und zum Beispiel ist „Danke sagen“ in diesem Sinn auch eine Handlung. Lukas und ich sagen uns sehr oft Danke. Danke, dass du die Tüten aus dem Supermarkt hochgetragen hast. Man könnte denken, dass das ein ganz förmlicher Austausch ist, aber es bedeutet für mich dann, diesem Moment Aufmerksamkeit zu schenken.
Was sind denn für dich die wichtigsten, die schönsten Rituale?
Das sind eigentlich alle Rituale, die einerseits genug Struktur haben, um einen besonderen Moment zu schaffen, andererseits aber genug Luft haben, dass auch tatsächlich was passieren kann. Also z.B., wenn wir uns als Familie treffen, meinetwegen, weil ihr uns einladet und wir uns dann zum Aperetif setzen. Das ist ein Ritual, das ich besonders mag, weil es einen Zwischenmoment dehnt, der normalerweise nicht da wäre. Dieses Aperetifding ist so eine heimliche Zeit, weil man sich zusammensetzt und sich gemeinsam entspannt und dabei entstehen dann gute Gespräche, dabei kommt man auf Dinge, man kommt sich näher. Weil dem wieder nicht so viel anhaftet, was man macht, wie beim Essen, da ist man schon wieder so beschäftigt. Der Aperetif ist für mich so ein totaler Luxus, eben so ein Zwischenmoment, der mir gefällt. Daraus ein Ritual zu machen, mag ich total.
Ich mag grundsätzlich Rituale, bei denen Menschen zusammenkommen, so wie Weihnachten – ein Superritual, oder gemeinsam Frühstücken, Abendbrot essen, oder so wie jetzt, wir sitzen im Museum. Dieses Kaffeetrinken, bei dem man sich hinsetzt. Wenn man diese Schwelle aus dem Alltag übertritt, kann etwas entstehen.
Also sich zum Kaffee hinsetzen, ist für dich auch schon ein Ritual?
Ja, würde ich schon sagen, weil man sich selbst die Information gibt, dass jetzt etwas passieren kann, was out of the ordinary ist. Egal, was es ist. Und gerade im Kontakt mit Menschen liebe ich es, wenn man das an Rituale knüpft, weil man Beziehungen manchmal so fahrig lebt.
Fahrig?
Hm, ja z.B. was den Umgang und die Beziehung mit Menschen angeht, habt ihr uns auch sehr viele Rituale beigebracht. Dinge anzusprechen, sich hinzusetzen, zu streiten. Sich ordentlich zu streiten, ist auch ein superwichtiges Ritual. Es gibt ein Ritual zu streiten, ich komm zu dir, und sage, was ist und du sagst dies, du sagst das, bis hin zu, man verträgt sich.
Obwohl beim Streiten doch auch viel Improvisation im Spiel ist, würdest du trotzdem sagen, das ist auch eine Art Ritual?
Ja, wahrscheinlich müsste man gucken, was der Unterschied zwischen Kultur und Ritual ist, weil doch ganz viele Dinge, die überliefert werden, eher Rituale sind als Kultur.
Es gibt ja jetzt auch ständig die Frage nach routines, hast du irgendwelche routines, was ist deine Morgenroutine. Was hälst du davon? Hast du auch irgendwelche routines, so Sachen, die du täglich machst?
Ja, seltsamerweise habe ich mit dem Wort Routine viel mehr Schwierigkeiten als mit Ritual. Für mich heißt routine, etwas alltäglicherweise zu tun und das ist genau das Gegenteil davon, was ich an Ritualen schätze, nämlich etwas Alltägliches mit besonderer Aufmerksamkeit zu tun. Aus jedem Alltagsmoment, sozusagen eine Art heiligen Moment zu machen.
Du bist Schauspielerin und bist jetzt auch noch Mitgründerin von iffy, dem Studio für Kommunikationsdesign. Da unterscheiden sich deine Tage vermutlich sehr von denen eines nine to five jobbers. Spielen da Rituale auch eine Rolle?
Ja sicher, das ist genau das, was Rituale sonst auch für einen machen. Sie geben der unförmigen Zeit Struktur.
Bei uns gab es ja in diesem Jahr eine Diskussion um den Weihnachtsbaum. Es wurde infrage gestellt, ob das vertretbar ist, einen Baum zu fällen, um ihn dann nach wenigen Tagen auf die Straße zu werfen. Wie stehst du dazu? Findest du, dass man Rituale auch immer wieder hinterfragen muss, und gucken muss, was bedeuten sie mir, sind die noch zeitgemäß, oder schränken die mich ein?
Ja, glaube ich schon. Ich fand diese ganze Weihnachtsbaumdiskussion zwar ein bisschen gruselig, weil man dann auch merkt, dass auf einem basic level so ein Ritual auch einfach vor einer Art Lebensangst schützt. Und wenn das weggenommen wird oder man es sich selbst wegnimmt, befindet man sich leicht im freien Fall. Was ist die Welt dann noch?
Es ist seltsam, dass man dann so an bestimmten Dingen hängt, aber man gibt ihnen ja selbst diese Bedeutung. Der Baum ist ein schönes Symbol für dieses Fest, für dieses Zusammenkommen und vielleicht für das Zentrum der Familie. Natürlich gibt es ein Zentrum der Familie auch, ob wir einen Baum haben oder nicht, aber er ist für uns eben ein schönes Symbol dafür.
Und was mich besonders gefreut hat, ist zu sehen, für wie viele andere Leute der Baum ein Symbol ist, euer Baum sozusagen. Denn für uns ist es der Familienbaum, aber für all die Leute, die dann an Neujahr zum Hörnchenessen kommen (auch ein schönes Ritual zum Beispiel) ist er das ja nicht. Aber sie freuen sich, wow der Baum, vielleicht haben sie zu Hause gar keinen mehr, lieben aber euern Baum. Es ist also schön zu sehen, dass so ein Ritual auch eine völlig andere Bedeutung für jeden haben kann.
Von daher fand ich es sehr gut, dass wir es kritisch hinterfragt haben, denn ein Ritual muss immer gewährleisten, dass man aufmerksam sein kann. Sonst ist das ganze Ritual für die Katz, dann ist es eine Routine in meinem Verständnis, dann ist es einfach etwas, das passiert, oder das man passieren lässt. Und wenn man merkt, ich fühle mich nicht mehr so inspiriert von einem Ritual, wie man es gerne hätte, dann sollte man es ändern. Oder gucken, was bedeutet es mir und sehen, dass die Bedeutung in Erfüllung geht.
Es gibt ja auch Rituale zur sozialen Abgrenzung, oder sogar Ausgrenzung. Wie siehst du das?
Ich finde es prinzipiell schwierig, sich ein Ritual für jemand anderen auszudenken. Das ist teilweise in der Schule so. Du stehst auf, wenn der Lehrer kommt, das ist ja als Ritual eher eine Disziplinierungsmaßnahme, die das Gefälle festschreiben soll. Da wendet man sich dann eher wieder dieser ängstlichen Seite zu, das Leben unter Kontrolle zu bekommen. Rituale sind super, man kann sie aber nicht dazu benutzen, sich von dieser Angst zu befreien, die man manchmal einfach hat. Lieber ein Ritual daraus machen, Angst zu haben – oder zumindest im Gleichgewicht damit zu sein.
Ich weiß nicht, ob es nicht auch mal interessant wäre, ein Ritual zu machen, das irgendwie streng zu einem ist. Also man diszipliniert sich über Rituale und wenn du was hast, das dir schwerfällt, dann musst du das trainieren – vielleicht mit einem Ritual. Ich finde es ganz interessant, sich mal mit den dark sides auseinanderzusetzen. Für manche kann das schon Streit sein, für andere vielleicht, Zeit mit sich selbst zu verbringen, die nicht nur mit Komfort zu tun hat, sondern auch mit einem Hinterfragen von einem selbst, shadowwork, oder was auch immer man dann vielleicht machen möchte. Also man gibt sich dann auch die Möglichkeit, Rituale zu finden für die unangenehmen Dinge.
Kommen wir zum Schluss nochmal auf den Grund, weswegen sich dieses Interview, dieser Blogbeitrag so verschoben hat. Das hatte ja auch damit zu tun, dass Tom, dein Opa, mit knapp neunzig Jahren sehr ruhig gestorben ist. Auch hier gibt es dann eine ganze Reihe von Ritualen und Abläufen, die einem etwas Halt geben. Wie hast du z.B. die Trauerfeier und die Beerdigung erlebt?
Ich weiß nicht, ob das früher anders war, dass man irgendwie näher an diesen Ritualen war. Ich habe das Gefühl, dass es eine grundsätzliche Annahme gibt, dass Menschen früher viel mehr connected waren mit ihren Ritualen, also z.B. mit so einer Beerdigung. Der Sarg muss in die Erde oder muss verbrannt werden, das ist nicht zu diskutieren, aber das ist auch kein Ritual, das ist eine Notwendigkeit, also irgendwas muss mit dieser Leiche passieren.
Aber diesen Abschied, diesen zeremoniellen Abschied kann man natürlich so gestalten, wie es sich für einen richtig anfühlt. Deswegen fand ich die Beerdigung sehr beeindruckend.
Da gibt es zwar bestimmte Abläufe, die vorgegeben sind, aber dennoch war es ein ganz individueller Abschied. Der mir auch noch einmal ein neues Gefühl dafür gegeben hat, was man alles machen kann mit solchen Momenten. Anstatt den Regeln hinterher zu hetzen, mach ich das gerade richtig oder nicht, trauere ich auf die richtige Art und Weise, kann ich dem Ritual gerecht werden. Stattdessen sind bei der Feier für Opa so viele neue, schöne Ideen dazugekommen, das Blumenbouquet zu stecken, die besondere Musik und auch die Diashow. Alles Elemente, die vom üblichen Ritual gerade soweit abwichen, dass sie eine besondere Aufmerksamkeit auf den Abschied gelenkt haben.
Vielen Dank, Isabel, für diese ausführlichen, nachdenklichen Antworten.
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