Die Idee des Royal Evening
Manchmal flashen mich Kunstwerke//Bücher//Filme so sehr, dass ich eine spontane Eingebung bekomme. Der goldene Strahl aus dem Himmel, direkt in meinen Kopf. So war das mit dem Royal Evening. Eine Idee, die mir kam, als ich eine Serie auf Netflix sah. Als Netflix-Fan bin ich besonders fasziniert von den Eigenproduktionen des Senders und ganz besonders von den neuen Dokumentationen. So stylish! Intelligent! Geschmackvoll! Persönlich UND informativ. Bei Chef’s Table kam alles zusammen.
Eine Serie über die besten KöchInnen der Welt. Ich fühlte mich den Chefs sofort verbunden: Perfektionisten, Workaholics, Künstler. Detailversessen, neugierig, künstlerisch-kreativ, ungeduldig, cholerisch, ambitioniert, ehrgeizig. Besonders spannend fand ich die Kombination von Künstler-In und Geschäftsmann/frau. Denn wer sein eigenes Haute-Cuisine-Restaurant eröffnet, muss beides schaffen: Genial kreativ-künstlerische Gerichte erfinden und genug Kunden anziehen. Ich wusste auf einmal, hier steckt sehr viel Information, die ich für meine eigene Situation nutzen kann. Hier finde ich eine Tonne von Antworten auf Fragen zu meinem eigenen Leben.
Royaler Leben
Ich denke, ich kann mit jeder Situation mit jedem Problem, mit jeder Arbeit klarkommen und umgehen, wenn sie mir auf eine geschmackvolle Art und Weise präsentiert wird: Von Geburt bis Tod und alles dazwischen. Ich mag, dass wir Menschen Formen für bestimmte Ereignisse gefunden haben. Geburt ist ein Festtag: Weiß, hell, sonnig, Blumen, Karten, Fotos, Freude. Und wenn etwas tragisch, traurig oder sogar schrecklich ist, dann haben wir eben eine andere Form: Schwarz, Tränen, Blumen, Karten, Regen. Blumen und Karten scheinen immer dazuzugehören, heute ist es vielleicht eher eine Mail, aber egal: Es gibt eine Form, es gibt ein Protokoll. Das nenne ich royal.
Natürlich weiß ich, dass das Protokoll eine sehr formalisierte Handlung ist und dahinter eine Menge Messiness lauert. – Amber hat es ja in der letzten Woche sehr gut geschildert. Dass Geburten mit sehr viel Flüssigkeit und Blut und Einblicken auf intime Körperteile und Momente verbunden sind. Und reden wir erst gar nicht vom Tod …
Doch wenn man der Sache eine royale Form gibt, dann schützt man sich, indem man sagt: „Hey, egal, wie müllig und verdreht es gerade in mir aussieht, ich halte den Kopf oben.“ Ich mag das. Ich mag, wenn Königin Elisabeth von England – egal was für verrückte Dinge gerade im Könighaus passieren – sich ihre klatschbunt-hässlichen Kostüme anzieht, einen dummen Hut aufsetzt und den Kopf oben hält. Ich mag das!
Abgründe
Aber natürlich kann man die Sache auch andersherum betrachten und so ging es mir zwischen 2015 und 2016. 2015 hatte ich ein Literaturstipendium auf einen Schloss bekommen. Mein Leben wurde mit Gold übergossen, dachte ich, doch als ich dann tatsächlich auf dem Schloss ankam und die anderen Stipendiaten traf, da sah alles ganz anders aus. Missgunst, Aggression, Ausgrenzung, Neid, extremer Ehrgeiz.
Auf einem Gruppenfoto wurde sich in die erste Reihe gedrängelt, statt zu arbeiten wurden neue Stipendien gesucht, weil das offenbar der Sinn eines Stipendiums ist – das nächste zu bekommen. Und ich spare mal die zahllosen Affären, denen sogar verheiratete KünstlerInnen offenbar nicht aus dem Weg wollten – aus. Das Gleiche spielte sich zur gleichen Zeit in dem Verlag ab, der die Rechte von vielen meiner Bücher erworben hatte und mir immer wie ein goldener Stern am Himmel der Verlagswelt erschienen war: Hinter den Kulissen sah es – extrem messy aus.
*(Fastforward 2018: Das Stipendium auf dem Schloss gibt es nicht mehr, tatsächlich erlebte ich einen Niedergang. Was den Verlag angeht – ich bin froh, dass ich meine Rechte zurückbekomme.)
Chef’s Table
2015 war die Netflix-Serie wie eine Offenbarung für mich. Sie zeigte mir nicht nur das schön gestaltete Essen der Haute Cuisine, sondern auch die Messiness, die sich hinter den Kulissen oft abspielt. Das ist vor allem der Großzügigkeit der ChekfköchInnen zu verdanken, die sich für diese Dokumentation extrem öffnen, von ihrem Leben erzählen, ihrem Scheitern. Aber eben auch von ihren Kampf um Schönheit und Royalität. Es ging um Essen – aber auch um so viel mehr. Jedes Mal, wenn ein neuer Koch in der mitterlweile 4 Staffeln langen Serie vorgestellt wurde, war ich in einer neuen Welt, doch immer war es der gleiche Kampf, die gleiche Challenge: Wie bringe ich Wunder an Schönheit, Eleganz, Nachhaltigkeit, Größe, Gesundheit in die Welt und bleibe ein einigermaßen anständiger Mensch// GeschäftsFrau/mann//Ehemann/frau. Denn der Zweck heiligt in dieser Serie und überhaupt nicht die Mittel. Für den Kuchen von Marie Antoinette wurden die Bauern ausgebeutet, aber heute wollen wir mehr: Wir wollen Werke von großartiger Schönheit hervorbringen UND gute Menschen sein.
Oder das ist nur mein Wunsch? Das musste ich herausfinden.
Royal Evening #1
Meinen ersten Royal Evening veranstaltet ich im Juni 2016. Ein Experiment, zu dem ich die engsten Red Bug Homies einlud. Wir empfehlen uns oft Filme// Theaterstücke//Bücher untereinander, aber ich wollte nicht nur sagen: Seht euch unbedingt diese Dokumentation über Chefköche an, ich wollte ein ganzes Event um diese Aussage erschaffen. Eine bestimmte Kleiderordnung, ein Aperitif, ein 3 Gänge-Menü mit neuer Sitzordnung – und dann gemeinsam beim Dessert die erste Folge der ersten Staffel ansehen und darüber sprechen. Sehen, ob die anderen genauso fasziniert sind wie ich. Ob sie das Gleiche empfinden. Als Künstler, als sensible Menschen, als Leute, die auch irgendwie ihr Geld verdienen müssen, aber auf keinen Fall in einem Büro oder Amt oder noch nicht mal einem halbwegs normalen Job landen können, weil es diese Sehnsucht nach Schönheit und Wahrheit gibt. Etwas, das wir Menschen nur erschaffen können, wenn wir entweder Könige machen lassen, oder uns selbst zur Royalität erheben.
Der erste Chef, den ich vorstellte, heißt Massimo Bottura, er lebt in Italien. Meine Kleiderordnung hieß: Grün oder Rot (ich kam in Weiß). Das Essen war schlicht und frisch und grün/rot/weiß. Am Abend sahen wir die erste Folge und diskutierten. Es war ein wunderschöner Abend. Der Royal Evening war geboren.
Royale Erkenntnis
Ich habe nicht nur diesen, sondern noch weitere Royal Evenings veranstaltet. Der Ablauf war immer gleich: Sorgfältig zubereitetes Essen, das einen Bezug zum jeweiligen Chef hat, dann gemeinsames Ansehen der entsprechnenden Chef’s -Table-Folge beim Dessert. Ich habe mit großer Freude gekocht, dekoriert und serviert. Ich hoffe, alle haben das Essen, die Filme und die Diskussionen genossen. Doch vor allem habe ich mir selbst mit diesen Royal Evenings etwas zurückgegeben: Den Glauben an die Royalität meines Lebens. Und die Erkenntnis, dass ich – und nur ich – dafür verantwortlich bin, mein Leben golden anzumalen.
1 Comment
Uwe Carow
19. August 2018 at 12:14Yeah, danke für die Royal Evenings. Der auf dem Balkon mit der unglaublich schönen hängenden Blumendeko gehört zu den Top 10 meiner all time favourite moments in life.