Ich habe es vielleicht an der einen oder anderen Stelle bereits erwähnt, aber Jonathan Glazers ,Under The Skin‘ ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Und da lasse ich mir die Gelegenheit natürlich nicht entgehen darüber zu schreiben. Vor allem nicht, wenn das Thema diesen Monat Haut ist. Denn auch wenn einem ,Under The Skin‘ manchmal wirklich unter die Haut geht, verbirgt sich dahinter noch sehr viel mehr.
Der Film beruht auf einem Roman von Michael Faber. Doch Jonathan Glazer beschreibt die Verbindung zum Buch als eine spirituelle. Denn das Buch ist eine Erzählung und auf den ersten Blick ist davon nicht viel im Film zu sehen.
Nun ja, zumindest nicht in dem fertigen Film. Denn anfänglich hatten die Autoren Glazer und Walter Campbell tatsächlich eine Version, die ziemlich nahe an der originalen Geschichte lag. Und sie war gut. Aber dennoch, mit diesem Drehbuch in der Hand wurde Jonathan klar, dass er etwas anderes schaffen wollte. In gewisser Hinsicht wurde eine direkte Buchverfilmung dem Buch selbst nicht gerecht. Also arbeiteten die beiden weiter. Drangen tiefer in die Materie ein, legten eine Schicht nach der anderen frei, um schließlich beim Kern der Geschichte anzukommen. Denn wenn man alles ablegt, ist es eine Geschichte über ein Alien, das auf die Erde kommt, erzählt aus der Perspektive des Aliens.
So beginnt der Film mit visuell anspruchsvollen Bildern. Unnatürlich und abnormal und nicht wirklich greifbar. Gepaart wird das mit rauen, puristischen Aufnahmen aus einem kleinen schottischen Vorort. Die inszenierte Pracht weicht dem kargen Alltag. Scarlett Johansson, die das Alien verkörpert, wirkt wirklich etwas fehl am Platz. Und der kräftige schottische Akzent macht es einem schwer, den Dialogen zu folgen. Fast als wäre man selber auf einem fremden Planeten gelandet.
Immer wieder zeigt uns Glazer Momente, die er Set-Pieces nennt. Situation, die eine emotionale Reaktion in uns hervorrufen. Die unter die Haut gehen. Momente, die so karg und einfach gefilmt sind, dass sie nahezu real wirken und teilweise auch sind. Ein Baby wird alleine am Strand zurückgelassen, Hooligans beschädigen ein Auto und Menschen gehen ihren ganz natürlich Geschäften nach. Dagegen schneidet Glazer die starre Miene des Aliens. Wir können nicht durch ihre Fassade blicken. Wir erkennen nicht, was sie fühlt, ob sie fühlt. Und durch ihren Blick scheint alles fremdartig, seltsam, verschoben. So schlüpfen wir in die Haut eines Aliens, das in die Haut eines Menschen geschlüpft ist.
Die Mission des Aliens wird nie gänzlich erklärt. Aber immer wieder zieht es Männer in ihren Bann und bringt sie in ein verlassenes Haus. Erregt legen die Männer ihre Klamotten ab. Machen sich nackt, machen sich frei. Nur um in einem schwarzen Loch zu versinken. Hilflos, ratlos, gefangen – hängen sie in der Luft, bis sie ausgesaugt werden und nur noch ihre leere Hülle übrig bleibt. Vom Alien keine Reaktion.
Doch ist da nicht mehr unter der glatten Fassade? Nicht ganz unüberlegt hat Glazer Scarlett Johansson für die Rolle besetzt. Eine Schauspielerin, die von der Masse hauptsächlich für ihren Sex-Appeal gefeiert wird. Denn nur wenige schauen genauer hin, um dahinter einen intelligenten, kreativen Menschen zu entdecken.
Und so ist es jenes Opfer, das nicht auf ihre Schönheit achtet, sondern viel mehr von ihrer Höflichkeit überrascht ist, das etwas in dem Alien auslöst. Erst ist es nur ein Gedanke. Doch nach und nach entwickelt sich etwas in der starren Kreatur. Die Opfer lassen sie nicht länger unberührt. Sie hat sich offen gemacht, lässt die Emotionen an sich heran.
Und sie muss feststellen: Unter der Haut der Menschen verbirgt sich mehr als nur Fleisch. Dort gibt es auch Liebe, Empathie und Hilfsbereitschaft. Sie läuft davon und vernachlässigt ihre Mission. Sie ist nicht mehr länger verschlossen. Und auch wir erkennen langsam die Schönheit der Realität. Wo man zuerst in den ästhetischen Bildern geschwelgt hat, reizen einen nun die unspektakulären Aufnahmen. Genau wie das Alien sympathisieren wir mehr und mehr mit den Menschen um sie herum. Sehen die selbstverständliche Freundlichkeit, die einem hier geboten wird. Als sie dann verloren von einem Mann aufgenommen wird, hat sie zum ersten mal die Ruhe, sich zu betrachtet. Sie betrachtet ihren Körper. Und sieht zum ersten Mal mehr als nur eine Hülle. Da liegt Schönheit in der Haut. Da verbirgt sich Schönheit unter der Haut.
Wenn man bedenkt, dass dies das erste Mal ist, dass Scarlet Johansson nackt vor der Kamera steht, wird einem deutlich, wie menschlich die Szene doch ist. Denn es geht nicht um Sex-Appeal und Erregung. Viel mehr geht es um Akzeptanz. Um wertloses Interesse. Und es benötigt den Blick eines Aliens, den Blick von außen, damit auch wir das erkennen.
Umso schmerzhafter ist es zu sehen, wie sie beim ersten Versuch Geschlechtsverkehr zu haben, feststellen muss, dass sie eben doch nur eine Hülle trägt. Dass unter der Haut nur ein harter, unnatürlicher Kern ist.
So wirkt ,Under The Skin‘ von außen wie ein normaler Film. Denn schließlich ist er genau das. Ein Film. Doch schaut man hinter die Fassade, erkennt man einen Film, der genau wie sein Hauptcharakter die Konventionen bricht. Nicht nur in der Erzählweise oder in der filmischen Herangehensweise, aber durch sie hindurch. Die langen Einstellungen, die versteckte Kamera, die realen Personen führen uns ganz langsam an etwas heran, das wir immer wieder vergessen: Was gerne hinter einer dicken Schicht Make-up und Special Effects versteckt wird. Das in den meisten Filmen gesucht, aber selten gefunden wird.
Die Schönheit der Natürlichkeit.
Die schmutzigste Aufnahme aus Schottland kann daher mit den stilisierten Animationen mithalten. Passanten auf der Straße können einer Hollywood-Schauspielerin das Wasser reichen. Und schräge Musik ist im richtigen Kontext eben nicht mehr schräg.
Alles was zählt ist Emotion. Je natürlicher desto schöner.
1 Comment
Amber
31. Oktober 2018 at 18:15WOW! Powerful! Super geschrieben!